Selbstverantwortung ist eine der wichtigsten Erfolgsrezepte einer freien Gesellschaft. Mit Einschränkung. Wir sind – zum Glück – nicht bereit, jedem den Entscheid dafür zu überlassen, ob er nun mit 25, mit 50 oder mit 120 km/h durch die Dreissigerzone fahren will. Irgendwo endet die Selbstverantwortung – so wie die Freiheit des einen bei der Freiheit des andern endet. Was das mit Corona zu tun hat? Ganz einfach: Nachdem unser Bundesrat bzw unser sehr unauffälliger Herr Koch erst mal entschieden hatte, dass das Tragen von Masken kein Eigenschutz sei (was so auch nicht ganz stimmt, aber egal), sondern dem Schutz der andern diene, begann das Maskentragen dem Geschwindigkeitsentscheid zu ähneln. Weil: Wer durch die Wohnstrasse rast, gefährdet Menschen, und wer keine Maske trägt, gefährdet … genau: ebenfalls Menschen. Warum also darf man das eine (selbstverantwortlich) entscheiden, das andere hingegen nicht? Und das, obschon in den Dreissigerzonen weitaus weniger Menschen umkommen als auf den Covid-19-Intensivstationen? Nachbar Fritz meint dazu, er wäre ganz grundsätzlich gern vor Idioten und Ignoranten geschützt, rasenden wie hustenden.
Die EU besteht auf den vier Grundfreiheiten, ohne die Europa angeblich nicht funktioniert: Freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Die Schweiz solle das akzeptieren, auch wenn vor allem der freie Personenverkehr vielen Schweizern gar nicht passt. Europa (und die Welt) erleben zur Zeit gerade die «fünfte Freiheit». Sie hat noch keinen Namen. «Corona-Freiheit» vielleicht oder «freier Virenverkehr». SARS-CoV 2 etwa quert ungehindert jede Grenze. Soweit so normal, nur führte es damit gleichzeitig die vierte Freiheit, den freien Personenverkehr, ad absurdum. Nicht nur wurden – auf «Veranlassung» des Virus – zwischenstaatliche Grenzen wieder aktiviert, es wurden sogar ganz neue Grenzen installiert: Wer vom Elsass nach Marseille wollte, von Cremona nach Rom oder wer heute von Gütersloh nach München will, wurde bzw wird an regionalen Grenzen angehalten und erhält den trockenen Bescheid: unerwünscht. Freier Personenverkehr nur ohne Corona! Sieht so aus, als ob Europa vom Coronavirus noch mehr lernen müsste als social distancing und Maskenpflicht!
In Florida (5000 neue Fälle täglich) sollte die Maskenpflicht eingeführt werden. Nicht ganz atypische Reaktion von aufgebrachten jüngeren Damen: «Ihr wisst, dass die Masken tödlich sind! Ihr werdet alle von Gott bestraft. Alle von euch befolgen das Gesetz des Teufels!» Oder: «Woher nehmt ihr das Recht, menschliches Atmen zu regulieren?» Oder: «Das ist keine Pandemie, das ist eine Plan-demie («planned demic»), es ist alles politisch.» Man beachte: Das ist der Geisteszustand der Empörten vor – nicht mit – einer Coronainfektion.
Was aus Zahlen zu lesen und vermuten ist: In den USA sind 2,5 Mio. Coronainfizierte bekannt. Wären das alle Infizierten, betrüge die Letalität bei 126'000 bekannten Toten (Zahlen vom 25. Juni) genau 5 Prozent. Hiesse: 5 Prozent aller Infizierten sterben. (Nur so zum «Spass»: das würde bei einer Durchseuchung der Schweizer Bevölkerung zu 70%, was der berühmten Herdenimmunität gleichkäme, rund 300'000 Tote bedeuten.) Zum Glück ist dem vermutlich nicht so. Die Letalität beträgt, soweit sich das aus andern Weltregionen abschätzen lässt, «lediglich» etwa 0,5 bis 1 Prozent. Das bedeutet im Umkehrschluss für die USA: 126'000 Tote lassen vermuten, dass die Zahl der Infizierten nicht bei 2,5 Mio., sondern längst bei 12,5 bis 25 Millionen liegt. Auch das aber heisst, dass erst zwischen 3,8 und 7,6 Prozent aller Amerikaner infiziert sind. Zahl allerdings steil ansteigend! Bei 0,5 bis 1 % Letalität dürfen die Amerikaner bis zum Erreichen der Herdenimmunität demnach mit 1,15 bis 2,3 Millionen Covid-19-Toten rechnen. Toten! Nicht invaliden Überlebenden. Von denen gibt’s vermutlich einige mehr, nur, von denen spricht eh keiner. Noch Fragen? Zum Beispiel zum Vergleich mit einer Influenza?
Wenn die Corona-Pandemie, an der allein in den USA bereits mehr als doppelt so viele Bürger gestorben sind wie im Vietnamkrieg, wie manche behaupten tatsächlich nichts weiter ist als eine etwas heftige Grippe, dann war der Vietnamkrieg vielleicht auch nicht mehr als eine Art Prügelei zwischen Hooligans.
Auf Facebook regen sich Hunderte heftig über den Überwachungsstaat auf, der sie verfolgen will, falls sie Corona-positiv getestet würden. Gegenrede sinnlos. Viele junge Leute darunter, die eigentlich besser als wir Alten wissen sollten, wie so ein Smartphone plus Apps funktioniert. Aber eben. Alle diese Misstrauischen geben in den wenigen Sekunden und Minuten der gefacebookten Empörung über Datenschnüffelei mehr Daten preis als die Bluetooth-basierte dezentrale Swiss-Covid Tracing App je sammeln wird. Und zwar an Server, die sie nicht kennen, von denen sie nicht wissen, wofür die Daten genutzt werden (meist ganz banal für Werbung). Aber wie will man Leuten Datenschutz erklären, die nicht wissen, wie das alles funktioniert: Google maps, die schnieke Gesundheitsapp, der Fitnesstracker, Skype, Zoom, eBay, ein Handymast, Bluetooth, das alltägliche e-Banking, die Kreditkarte von VISA bis Migros, das praktische GPS im Auto, die heimelige Wanderapp, die Booking-Apps, Ticket-Apps, Flickr, Zattoo, Meteo-Apps, Spiele-Apps, Facebook, Twitter, SMS, Whatsapp, Snapchat, Alibaba, Spotify, TikTok – und wer wieviel über die Nutzer erfährt, selbst wenn das iPhone oder das Samsung-Handy nicht eingeschaltet ist. Das Unwissen der Leute ist das wichtigste Gut, das die wirklich Verschwörten schmunzeln lässt.
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