Der Tod von Alt-Bundesrat Flavio Cotti hat mich an eine Geschichte erinnert, die sich vor vielen Jahren zugetragen hat, die nie niedergeschrieben wurde (sie wird es auch hier nicht), die aber wiederum eine ganz andere Geschichte in Erinnerung gerufen hat, die mit Herrn Cotti eigentlich nichts zu tun hat, für uns aber untrennbar mit ihm zusammenhängt … Sie verstehen's nicht, oder? Macht nichts.
Die Sache ist uns beiden sehr peinlich, obschon wir nichts dafür können, meine Frau und ich. Es hat wieder mal etwas mit unseren Haustieren zu tun. Dabei können nicht mal die was dafür. Und mit Medizin hat die Geschichte auch nur am Rande zu tun. Obschon, wenn ich’s recht bedenke …
Dabei fing alles so friedlich an. Im Périgord war’s, in der Gegend zwischen Bordeaux und Clermont-Ferrand in Frankreich. Ich hatte Gelegenheit, die weltberühmten Wandmalereien in den Höhlen von Lascaux (den originalen, nicht den – zugegebenermassen genauso eindrücklichen – Nachbildungen) zu besuchen. Ein Erlebnis der besonderen Art wäre das geworden, wäre nur der französische Archäologe, der die Verantwortung für die mit Hunden und hohem Zaun gesicherte Anlage trägt und der uns durch die eisernen Zwischentüren schleuste und nach einem Desinfektionsritual der Schuhe in die stockdunkle, Temperatur-, Feuchtigkeits- und Zugluft-stabilisierte Höhle führte, nicht so geschwätzig gewesen. Er schaffte es wirklich, den letzten Hauch von Andächtigkeit aus diesem steinzeitlichen Dom mit seinen unvergleichlichen Tierzeichnungen herauszuschwadronieren. So mussten wir fünf Besucher die ganze Würde, das heilige Erstaunen über die 20 000 Jahre alte Kunst nach Verlassen der Höhle mühsam in unseren Köpfen neu entstehen lassen.
Aber Lascaux war ja nur eine Etappe unserer Ferien im Périgord. Périgord, das heisst nämlich auch Foie gras (man möge uns verzeihen, wir sind, oder waren, auch immer gegen Gänseleber, aber so eine butterzarte Gänseleberterrine nach Art des Maître de cuisine oder ein Stück gebratene frische Gänseleber kann einem ganz schön die guten Vorsätze verderben), Trüffeln, Steinpilze. Und Schlösser, Schlösser, Schlösser. Unzählige. Viele zu Hotels umgebaut. Eines dieser Schlösser, in dem wir übernachteten, hiess «Château de la Fleunie». Ein wunderschönes Anwesen, gar nicht teuer (gemessen an Schweizer Hotelpreisen), und zudem verbrachte – der Zufall wollte es – gerade einer unserer Bundesräte (Flavio Cotti, Aussenminister) ebenfalls seine Ferien in diesem Haus. Mit Familie. Und Hund. Aber der, ich schwör’s, konnte auch nichts dafür. Vermutlich. (Übrigens: Zu unserem «Treffen» mit besagtem Herrn Cotti im Château de la Fleunie gibt’s eine eigene Geschichte, aber die ist – zumindest für meine Frau – noch peinlicher. Wir ziehen deshalb in Erwägung, sie nicht weiterzuerzählen, obschon … täten würde ich schon gern …)
Es war einen oder zwei Tage später. Anderer Ort, anderes Château, Name entfallen. Wir waren die einzigen Gäste (Kunststück – siehe unten!). Wenigstens die einzigen erwünschten. Der Maître d’hôtel war sehr freundlich und warf – es war bei unserer Ankunft bereits gegen neun Uhr abends – nur für uns den Kochherd an. Wir speisten (siehe oben) und freuten uns. Auch unsere beiden Hunde freuten sich, als wir wieder im Hotelzimmer auftauchten. Mit Unterbrechungen allerdings, wie uns auffiel. Die Unterbrechungen bestanden aus Kratzen. An allen Stellen und in allen Stellungen. Uns schwante etwas. Aber wir waren müde und satt und wollten es nicht wahrhaben. Vier Stunden später, lange nach Mitternacht: Nun freuten wir uns nicht mehr. Obschon auch das mit Unterbrechungen. Die Unterbrechungen bestanden aus … Sie können es sich denken. An allen Stellen und … na ja. Uns schwante längst nichts mehr – wir sahen es.
Sie haben keinen Hund und keine Katze? Dann wissen Sie womöglich nicht, wovon ich spreche. Aber auch Sie, der oder die Sie es zu wissen glauben, ahnen es nicht. Zu sagen, unsere beiden Hunde hatten Flöhe, würde der Situation nicht gerecht. Schon eher: Tausende Flöhe hielten sich zwei Hunde. Und mitten im Gezappel, Gekratze und Gehechel der geplagten Viecher wir, Herrchen und Frauchen. Um Haltung bemüht. Dabei kaum weniger geplagt. Hatten sich doch die überzähligen braunen Pünktchen, die, kaum hat man sie erblickt, auch schon weg sind, und die, kaum hat man sie gefangen, einem sogleich wieder aus den Fingern entwischen, längst auf uns konzentriert. An vernünftigen Schlaf war nicht mehr zu denken. So standen wir denn ungewohnt früh auf. Beziehungsweise wir blieben einfach stehen. Und duschten und duschten, so ausgiebig wie selten zuvor.
Meine Frau, in weiser Voraussicht, hatte – wegen der paar Zecken, dass ich nicht lache! – ein Antiweissichwas-Shampoo mitgenommen. Damit traktierten wir nun Donna, die Doberfrau, und Vazaha, unseren Mischling. Ha, war das ein Hüpfen. Aber ein kurzes. Bald war die Badewanne mit toten Flöhen nur so gesprenkelt. Und wir, eben geduscht und getrocknet, waren von den sich schüttelnden Hunden wieder nassgespritzt.
Das Haus mit den tausend Gästen verliessen wir dann fluchtartig. Bei Sonnenaufgang und ohne Petit déjeuner. Ein unheiliges Staunen hatte uns diese kurze Nacht abgerungen: ein archaisches Gefühl des Ausgeliefertseins an die Natur. So müssen sich wohl auch die Menschen gefühlt haben, welche uns die Lascaux-Höhlenmalereien hinterliessen. Ohne zivilisatorischen Krimskrams wie Anti-Floh-Spray und -Shampoo. Die wir beide nicht mehr hätten missen wollen. Shampoonieren, Sprayen und Kratzen, Kratzen, Sprayen und Shampoonieren bestimmten unsere nächsten Ferientage. Und unser Auto erhielt den sinnigen Namen «Château Fleunie». Dabei trugen weder das Schloss mit dem ominösen Namen Schuld an unserem Erlebnis der besonderen Art noch der Hund des Bundesrates – ich bin mir da fast sicher.
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